Dienstag, 28. April 2015

Von Landstraßen und Mönchen – ein Blick nach Orhei Vechi

Am Ende einer spannenden Seminarwoche, die aus Treffen mit Politikern, NGOs, Botschaften und Delegationen bestand, hatten wir uns einen Ausflug in die Umgebung vorgenommen, um einmal aus Chişinău herauszukommen und etwas Landluft zu schnuppern. Unsere Wahl fiel auf das Kloster Orhei Vechi, ca. 50 Kilometer von der moldauischen Hauptstadt entfernt. Das Angebot der netten Rezeptionistin einen Fahrer nebst Wagen zu organisieren schlugen wir aus und machten uns statt dessen selbst auf den Weg.

Die Marschrutka als Hauptverkehrsmittel

Der im Stadtzentrum gelegene Markt ist dazu geeignet nahezu alle Bedürfnisse des täglichen Lebens zu erfüllen. Obst und Gemüse, Hausschuhe, Spielzeug, Reinigungsmittel, CDs, Käse, Teppiche und Blumen – die Marktstände machen einen Besuch in einem Supermarkt, Kaufhaus oder Drogerie unnötig. Und auffallend ist, dass angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage in dem Land viele Menschen zur Subsistenzwirtschaft übergegangen sind. Neben selbst gepresstem Öl und selbst angebautem Gemüse, werden auch Samen für verschiedene Gemüsesorten in einer Fülle angeboten, die auf einem Markt in Deutschland selten zu sehen ist. 

Samen für die Subsistenzwirtschaft.

Wenige Meter neben den Ständen warten unzählige Marschrutki – mit Sitzplätzen ausgestattete Transporter, die ihre Passagiere nicht nur innerstädtisch, sondern auch Überland transportieren. Und genau deswegen sind wir hier. Wir fragen uns nach den Wagen durch, die nach Orhei fahren. Wenig später sind wir am Ziel. Die Busse haben keine festen Abfahrtszeiten, sondern beginnen ihre Reise, sobald genügend Fahrgäste zusammen sind. Da wir als Gruppe ankommen, ist der Wagen relativ schnell voll und schon schieben wir uns im Schritttempo durch die überfüllten Marktstraßen bis wir auf einer Schnellstraße landen und dem sonnigen Samstagnachmittag entgegenfahren.

Dubstep auf der Landstraße

Während fröhliche moldauische Weisen aus dem Lautsprecher tönen, fällt mir auf, dass die Straßen – nach allem was mir zuvor erzählt wurde – in einem besseren Zustand sind, als ich mir vorstellte. Die anderen Fahrgäste – ältere Menschen, Eltern mit Kindern – sehen nach Landbevölkerung aus, die am Wochenende Einkäufe in der Stadt getätigt haben. Die Marschrutki sind Haupttransportmittel in der Republik Moldau. Die Züge, die für eine Strecke von 100 km drei Stunden brauchen, sind keine ernstzunehmende Alternative. Die zwei von Frankreich gestifteten Schnellzüge sind aufgrund der schlechten Schienen nicht mehr einsatzfähig.

Nach einer knappen Stunde Fahrtzeit spuckt uns der Transporter an einer Abfahrt der Schnellstraße aus. Das Kloster, das wir besuchen wollen, liegt nicht direkt in Orhei, sondern außerhalb – irgendwo, wo unser Bus nicht hinfährt. Den Rest des Weges müssen wir trampen, laufen oder eine andere Marschrutka anhalten. Fünf von uns springen wenige hundert Meter weiter in ein Taxi, das auf uns gewartet zu haben schien. Wir restlichen fünf genießen kurz die Sonne bis uns tatsächlich eine Marschrutka aufliest. Im nächsten Dorf hält der Wagen alle hundert Meter und einzelne Fahrgäste verabschieden sich. Als nächstes sind wir dran. Der Bus kehrt um und wir müssen uns weiter in die Richtung durchschlagen, die der Fahrer mit einer groben Armbewegung vorgegeben hat. 

Wir stehen mitten auf einer staubigen Dorfstraße.

Wir stehen mitten auf der staubigen Straße eines moldawischen Dorfes ohne genau zu wissen, wie es nun weitergehen soll, als drei schick gestylte Teenagermädchen die Straße heruntergeschlendert kommen. In der Hand ein Handy und eine Box aus der derber Dubstep pumpt, der jedem Berliner Club gut zur Gesicht stehen würde. Die Mädchen haben nicht nur einen guten Musikgeschmack, sondern auch beste Ortskenntnisse und kurz darauf wandern wir auf einer Landstraße, hoffend unser Ziel bald erreicht zu haben.

Wenige Kilometer weiter entdecken wir ein neugebautes Einfamilienhaus, das schlüsselfertig am Wegesrand vor sich hin dämmert. Ein merkwürdiger Anblick. Später sollen mir moldawische Freunde erklären, dass dies durchaus kein seltener Anblick ist. Viele der Arbeitsmigranten würden Geld für einen Hausbau in die Heimat senden, welcher aber bei Jobverlust oder einem ähnlichen ungeplanten Zwischenfall schnell enden kann. Halb oder sogar fertige Immobilien würden daraufhin leerstehend entweder wieder verfallen oder für einen Spottpreis verkauft werden, da die Besitzer in einer schlechten Verhandlungsposition sind. 

Schlüsselfertig dämmert das Haus am Wegesrand vor sich hin.

Eine goldglänzende Ikonenwelt

Und dann sehen wir es endlich. Von weit her – fast wie vom Horizont blinkt die Kuppel des orthodoxen Klosters zu uns herüber. Malerisch sitzt es auf einer Anhöhe, die sich über eine Schleife des Flusses Răut erhebt. Glücklicherweise kommt in diesem Moment ein Bus, der uns unter dem schadenfrohen oder mitleidigem Grinsen der Fahrgäste (so genau ist das nicht festzustellen) von der langen langen Landstraße aufsammelt. Innerhalb weniger Minuten sind wir nun am Ziel und wandern die letzten Meter zum Kloster.
Das Kloster Orhei Vechi.
Im Halbdunkel des Eingangs zu einer goldglänzenden Ikonenwelt erwartet uns ein Mönch, der den weiblichen Mitgliedern unserer Gruppe Röcke aushändigt, die über die Hosen gezogen werden. Er ist erstaunt uns zu sehen, da heute schon eine deutsche Gruppe da war. Wir wissen, dass das die Glücklichen mit dem Taxi waren und stellen uns vor, wie sie jetzt sicher im nahegelegenen Dorf in einem Restaurant sitzen und schlemmen. Im Übrigen scheint sich der Mönch zur Aufgabe gemacht zu haben westliche Besucher wie uns auf ihren verderbten Lebenswandel hinzuweisen. Die anderen fliehen sehr schnell vor den Missionierungsversuchen und dem Knoblauch geschwängerten Atem des Bruders. Ich möchte eigentlich noch eine Kerze anzünden. „Можно?”, frage ich, auf die schmalen Kerzen deutend. „Нужно!”, entgegnet mir der Mönch weise lächelnd.

Plăcintă und Zama


Doch nun hinab ins Dorf, um sich in einem Restaurant zu stärken. Unterhalb des Klosters liegt Butuceni. Links und rechts der unbefestigten Hauptstraße ducken sich hinter Zäunen und Mauern mehr oder minder intakte Häuser. Dazwischen Ziehbrunnen für die tägliche Wasserversorgung, streunende Hunde und Kinder mit Eselskarren. Es erscheint wie ein Blick in das letzte oder besser vorletzte Jahrhundert. Im Zentrum des Dorfes steht ein gemütliches Restaurant, das neben allerlei Köstlichkeiten der moldawischen Küche auch Gästezimmer und ein W-Lan-Netz anbietet. Die Bezeichnung „Eco-Resort“ zeugt vom Sinn für Humor der Betreiber. 
Das "Eco-Resort" liegt an der Hauptstraße von Butuceni.
Der Gastraum ist einer Bauernstube nachempfunden. Auf großen Holztischen steht irdenes Geschirr, das mit traditionellen moldawischen Mustern bemalt ist; an der Wand hängen Kräuter und Chilischoten zum Trocknen. Bei käsegefüllter Plăcintă, der kräftigen Hühnersuppe Zama, gefüllten Kohlrouladen und anderen Leckereien erholen wir uns schnell von der langen Wanderung. Als wir uns kurz darauf auf den Weg machen und die unbefestigte Dorfstraße entlang schlendern, folgt einer der vielen Momente, die zeigen, was es für verschiedene Lebenswelten in dem Land gibt. Im Schein der Abendsonne rollt ein schwarzglänzender Rolls Royce mit sonnengebräunten Muskeltypen und ihren blondierten Topmodel-Freundinnen auf der Rückbank durch die Schlaglöcher.

Mit Brot und Wein zurück nach Chişinău
Für uns ist es Zeit sich über die Rückreise Gedanken zu machen. Doch - kein Bus, kein Taxi, keine Marschrutka weit und breit. Der Fahrer eines voll besetzten doppelstöckigen Reisebusses bietet uns völlig selbstlos Stehplätze für umgerechnet 5 Euro pro Person an. Einige Studierende aus Chişinău, die an dem Ausflug teilnehmen, reden auf den Busfahrer ein und handeln den Reisepreis nach unten. Der Fahrer versichert sich, dass  sich zumindest die „Девушки“ zu dritt auf einen Doppelsitz quetschen können und die Herren auf Treppe und im Gang mehr schlecht als recht Platz gefunden haben. Ein Fahrgast verteilt frisches ofenwarmes Brot, ein anderer reicht mir eine PET-Flasche mit selbst angesetztem Wein, der in dem warmen Bus sein übriges für den heiteren Abschluss eines gelungenen Ausflugstages tut.

Felix Weiß

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